Laudatio von Bernd Kullmann
Liebe Berggeister,
als ich 1977 die Einladung zur deutsch-französischen Everest-Expedition erhielt, lag auch eine Teilnehmerliste dabei. Die französischen Teilnehmer lasen sich wie das „Who is who“ des Spitzenalpinismus in unserem Nachbarland – Pierre Mazeaud, Claude Deck, Jean Affanassief, Nicola Jaeger – allesamt international bekannte Leute. Unsere Gruppe hingegen – lauter unbekannte Greenhorns, das war etwa so wie wenn „Barfuss Bethlehem gegen Bayern München“ in der Champions League antritt. Eine Ausnahme gab es allerdings – Sigi Hupfauer. Er stand schon einmal auf einem 8000er, dazu viele große Alpenwände, einer der bekanntesten Bergsteiger in Deutschland. 1966 Harlin Direttissima am Eiger im Winter, 1968 Rupal Flanke am Nanga Parbat, noch ohne Gipfelerfolg, aber damit war der Grundstein für die erfolgreiche Herrligkoffer-Expedition 1970 gelegt, in deren Verlauf auch die Messner-Brüder den Gipfel erreichen sollten, 1973 Manaslu als erster Deutscher. Mit einem solchen „Senior“ im Team fühlten wir Jungen uns gleich wesentlich sicherer.
Am Berg war dann Sigi auch der Chef und Mentor und Vorbild für uns. Als bergsteigerischer Leiter hatte er ausgerechnet, dass jeder von uns mindestens fünfmal durch den Khumbu musste. Jedesmal mit 15 kg Last auf dem Buckel. Das gleiche dann von Lager 1 zu Lager 2, nur so hatten wir eine Chance, all die Ausrüstung und Verpflegung in die Hochlager zu bekommen. Aufgrund der Budgetknappheit der Expedition hatten wir nur sieben Hochlager-Sherpas und waren damit sehr spartanisch ausgestattet. Abends hat Sigi dann im Mannschaftszelt regelmäßig die Lasten abgewogen und verteilt und genau aufgepasst, dass keiner mit zu wenig am nächsten Morgen gestartet war.
Dem Zeitgeist der Jugend entsprechend hatte ich am Everest, wie bei allen großen Alpentouren, eine Jeans an. Dies hat sich auch bewährt, zumal die Bergsteigerbekleidung in den 70ern noch nicht sehr weit entwickelt war. Dem Sigi war solcherlei Beinkleid aber suspekt und er hat mir klar mitgeteilt, dass ich in dieser Hose nicht zum Gipfel gehen darf. Später, als wir oben am Südsattel zusammen in einem Zelt übernachtet haben, hatte ich glücklicherweise eine wattierte Wärmehose darüber, denn sonst hätte es mit Sicherheit einen mächtigen Anschiss vom Sigi gegeben.
Aber Sigi war auch sehr fürsorglich uns Jungen gegenüber. In der Lhotseflanke hatte ich mir kalte Zehen geholt und Sigi hat mir ganz selbstverständlich seine warmen und modernen Neoprengamaschen abgetreten. Er war ja am Vortag am Gipfel gewesen und hat sich dann beim Abstieg vom Südsattel über die Lohtse-Flanke sicherlich kalte Zehen geholt, während meine beim Gang hinauf zum Gipfel dank Sigis Gamaschen schön warm waren.
Dass der Sigi auch eine Frau hatte, habe ich erst viel später erfahren. Frauen waren ja damals in den 70ern beim Bergsteigen eher nebensächlich. Bei uns Jungen hatte das Klettern ohnehin klare Priorität. Die Älteren haben ihre Frauen in den Sommerurlaub nach Chamonix immer mitgenommen, wobei deren Aufgabe vorrangig darin bestand, die Kinder auf dem Zeltplatz zu bespaßen und für die Männer, wenn sie aus den großen Nordwänden zurückkamen, ein gutes Essen zu kochen. Als Belohnung gab es dann vielleicht mal eine leichte Kletterei in den Aiguilles Rouges.
Ansonsten waren Frauen beim Bergsteigen noch sehr rar. Wenn dann in der Jungmannschaft tatsächlich mal ein steiler Zahn auftauchte, der nicht nur gut aussah, sondern auch noch gut klettern konnte, dann zog eine solche Dame ganz rasch einen Kometenschweif an Verehrern hinter sich her und konnte sich kaum vor Kletterangeboten retten. Die Chance, ein solches Wesen abzubekommen war bei einem Verhältnis Mann / Frau 20 : 1 aber äußerst gering.
Der Sigi hat jedoch Glück gehabt und ein solch seltenes Exemplar abbekommen. Die Gaby hat sicherlich den damaligen Kletterstar der Jungmannschaft in Neu-Ulm auch ein bisschen angehimmelt und so kam es eben, dass die beiden zusammen mit einem Spezl aus der Jungmannschaft, quasi als Anstandswauwau, zum Klettern in die Brenta gefahren sind. Gaby muss sehr fortschrittliche Eltern gehabt haben, denn sonst hätten sie sicherlich nicht ihre 16jährige Tochter mit zwei Kerlen allein in Urlaub gelassen. Ob’s dann in der Brenta beim klammen und kalten Biwak auf der Guglia gefunkt hat oder bereits zuvor oder danach, dass soll das Geheimnis der beiden bleiben. Gefunkt hat’s jedenfalls und von da an waren Gaby und Sigi ein Paar.
Neben den zahlreichen gemeinsamen Extremtouren haben aber beide schwäbisch gründlich eine Berufsausbildung absolviert, Sigi zum Werkzeugmacher mit anschließender Meisterprüfung und Gaby als Steuerfachangestellte bei der Gemeinde Neu-Ulm. So, wie es eben damals üblich war.
Hätte es damals die Spezies der Profialpinisten schon gegeben, wäre sicherlich nicht Ralf Dujmovits, sondern Sigi Hupfauer der erste Deutsche auf allen 8000ern geworden. So aber stand das Leben der beiden von Anfang an stabil auf drei Säulen – Beruf, Familie und Bergsteigen.
1967 wurde dann im November geheiratet. Aufgrund von Geldmangel fuhr der Sigi allein auf die Hochzeitsreise und zwar mit einer Herrligkoffer-Expedition zur Rupal-Flanke am Nanga Parbat.
1975 dann für beide der erste gemeinsame hohe Berg und zwar der Aconcagua, für Gaby der Einstieg ins Höhenbergsteigen.
Nach absolvierter Bergführerprüfung 1980 hatte Sigi das Glück, von seinem Arbeitgeber Ratiopharm großzügig unbezahlten Urlaub zu bekommen. Daneben führte er den Firmeninhaber, Herrn Merkle, regelmäßig selbst auch ins Gebirge. Ein Höhepunkt für das Ehepaar war dann die gemeinsame Expedition zum Broad Peak. Das Jahr 1986 war im Karakorum ein Katastrophenjahr und in direkter Nachbarschaft, nämlich am K2, spielte sich eine Tragödie ab, in deren Verlauf lediglich noch Diemberger und Bauer lebendig vom Berg herunter kamen. Just zur gleichen Zeit, als Gaby und Sigi mit nur drei Hochlagern und ohne Sherpa in einem Zug aus dem Basislager den Gipfel besteigen konnten. Die schreckliche Bilanz am K2 in diesem Jahr: 13 Tote.
Am Broad Peak mussten Sigi und Gaby dann auch als Lebensretter tätig werden. Zwei Kameraden, die nach ihnen aufgestiegen waren, blieben völlig erschöpft beim Abstieg hängen. Sigi stieg dann nach seinem Gipfeltag nochmal 600 Höhenmeter auf und brachte den jungen Kameraden mit äußerster Anstrengung, aber schlimmen Erfrierungen zurück ins Basislager. Gaby stieg derweilen allein mit den anderen vom letzten Hochlager ab und brachte auch ihn sicher zurück ins Basislager.
Es folgten noch zwei weitere, gemeinsame 8000er, Sigi war dann mit insgesamt acht Besteigungen über viele Jahre hinweg der erfolgreichste deutsche Höhenbergsteiger. Auch die 14 Teilnehmer, die er aus einer DAV Summit-Gruppe an einem einzigen Tag auf den Cho Oyu geführt hat, dürften bis heute Rekord bei kommerziellen Besteigungen sein. Hier zeigte sich wieder einmal Sigis enormes Talent und seine Geduld im Bergführerberuf. Selbstverständlich erreichten alle völlig unbeschadet danach wieder das Basislager.
Bleibt in so einem sportlich ausgefüllten Leben überhaupt noch Platz für etwas anderes?
Beide, Gaby und Sigi, waren und sind ausgeprägte Familienmenschen und haben den Spagat mit Bergen, Beruf und Familie toll hingekriegt. Tochter Silke wurde 1971 geboren, während der Expeditionen passte die Oma dann auf die Kleine auf. Nicht nur einmal wurde Gaby deshalb als Rabenmutter bezeichnet, Anfang der 70er herrschte in deutschen Haushalten noch ein sehr konservatives Familienbild. Zusammen ging es jedes Jahr in den Familienurlaub, Gardasee und Dolomiten waren die bevorzugten Ziele. Anstrengend waren die Wanderungen für Silke schon, beide Eltern waren ja immer topfit von ihren Expeditionen. Anstrengend war für Klein-Silke auch die Tatsache, dass die Eltern prominent waren. Der Sigi kannte ohnehin jeden bzw. wurde von jedem erkannt, egal ob in Patagonien oder am Sellajoch.
Die intakte und starke Familie half den Dreien auch über den Tod von Silkes Mann hinweg zu kommen. Dieser war mit einer DAV Summit Gruppe im Himalaya abgestürzt, vermutlich hatte einer der Teilnehmer beim gleichzeitigen Gehen am Seil das Gleichgewicht verloren. Die Fürsorge und Liebe der Eltern hat der Tochter geholfen, aus diesem tiefen Loch, in das sie nach dem Tod ihres Mannes gefallen war, wieder heraus zu kommen. Heute leitet Silke die DAV Kletterhalle in Neu-Ulm und hat mit Hilfe ihrer Eltern den Sohn Florian großgezogen. Und natürlich hat der Opa Flo schon ganz früh das Klettern beigebracht. Heute gehen sie oft gemeinsam auf Tour, was Flo sehr genießt. Sigi ist für ihn natürlich Vorbild, was das Bergsteigen angeht. Dafür erklärt er dann dem Opa, wie ein Smartphone funktioniert und welche Komponenten die richtigen bei seinem Mountainbike sind.
Liebe Gaby, lieber Sigi, für mich und auch andere wart und seid ihr Vorbilder, nicht nur bergsteigerisch, sondern vor allem auch menschlich. Ich wünsche Euch beiden noch viele gemeinsame Erlebnisse, vor allem aber Gesundheit.
Liebe Vereinskameraden, ich denke, wir haben würdige „Berggeister des Jahres 2014“ gewählt.
Herzlichen Glückwunsch, Gaby und Sigi Hupfauer!